Roberta Manganelli: „Wir müssen die Prozesse der Modeindustrie hinterfragen!“
Frau Manganelli, wie haben Sie ganz persönlich die letzten Wochen erlebt?
Mittlerweile können wir ja schon von Monaten sprechen. Mitte März haben wir uns dazu entschieden, die Agentur zu schließen um den Social-Distancing-Maßnahmen im Rahmen der Covid-19 Krise zu folgen. Der schwierigste Punkt für mich, war es mein Team in Kurzarbeit schicken zu müssen. Bei unserer Arbeit geht es um menschlichen Kontakt, physisch miteinander zu agieren und zusammenzuarbeiten. Seit die ersten Berichte über den globalen Ausbruch publik wurden, war klar, dass unsere Branche sehr schwer von dieser Pandemie getroffen wird. Ich persönlich habe das Glück in einer großen, lichtdurchfluteten Wohnung mit Terrasse zu leben, gemeinsam mit meinem Lebenspartner und meinem Sohn.
Welche Auswirkungen hatte der Lockdown auf Ihre Agentur?
Das Agenturbüro selber ist geschlossen, aber als Director bin ich natürlich im ständigen Austausch mit Models, Kunden und Kollegen aus aller Welt. Besonders in Zeiten wie diesen ist es wichtig, zu kommunizieren und Informationen auszutauschen und sicher zu gehen, dass jeder in Sicherheit ist und es niemandem an etwas fehlt – und natürlich um einen Überblick über die Situation zu haben, um so bald wie möglich wieder die Arbeit aufzunehmen.
Die Menswear- und auch Haute Couture-Schauen im Sommer wurden abgesagt – aus wirtschaftlicher Sicht: Kann die durch den Lockdown bedingte Schaffenspause dieses Jahr noch eingeholt werden?
Die Leute in der Modeindustrie sind ein ständiges rauf und runter gewohnt, wir sind sehr positive, kreative Menschen, doch besonders unsere Industrie arbeitet auf einem globalen Level. Jeder Prozess hat seine Arbeitskette um vernünftig zu funktionieren. Eine 2 bis 3-monatige Pause können wir verkraften, aber um diesen Einschnitt aufzuholen, wird es länger dauern – insbesondere auf dem internationalen Level. Ich persönlich bin der Meinung, wir dürfen uns glücklich schätzen, 2020 mit so geringem Verlust wie möglich zu beenden und uns auf ein erfolgreiches 2021 vorzubereiten.
Letztendlich müssen wir uns auch die Prozesse der Weltwirtschaft, insbesondere der Modeindustrie anschauen und hinterfragen. Angefangen von den Produktionsprozessen; wir haben einen Überfluss an Kollektionen; den Einfluss den Fast Fashion auf uns alle hat und so weiter … In Bezug auf die nahe Zukunft, sehe ich eine sehr enge lokale Zusammenarbeit. Österreich sollte den Impuls schaffen, Produktionsmöglichkeiten und Prozesse zurück in das Land zu bringen, angefangen mit Human Capital aber auch die Herstellungsmöglichkeiten.
Auch persönlich hatten viele mit der „Neuen Normalität“ zu kämpfen – wie sind denn Ihre Schützlinge damit umgegangen?
Ich bin so stolz und dankbar, sie alle meine Models nennen zu können. Es geht ihnen allen gut, sie nehmen die Situation ernst, aber mit ein wenig Humor und nutzen die Zeit sinnvoll. Ich vermisse sie sehr, ich sehe sie als meine Familie im weiteren Sinn und freue mich sie sehr bald wiedersehen zu können.
Was bedeutet es denn konkret für ein Model nicht Reisen zu dürfen und eine Saison auf keinen Shows zu laufen?
Als international arbeitendes Vollzeitmodell ist es in der Tat schwierig. Dabei gibt es nicht nur um die finanziellen Einbußen, der "Modekalender", der sich über Jahre hinweg etabliert hat existiert praktisch nicht mehr und wird sich radikal ändern. Der anstrengendste Teil des Models ist immer das warten, das war bereits vor der Krise der Fall. Es gibt ruhige Zeiten, die sich mit einem sehr hektischen Terminkalender abwechseln. Es wird sich zeigen, wer zäh genug ist um gestärkt aus dieser Krise herauszukommen. Letztendlich, und das gilt für jeden der seine Arbeit professionell betreibt, sollten genügend Rücklagen existieren, um die Zeit zu überbrücken bis neue Anfragen kommen.
Welche Gegenmaßnahmen, etwa in Bezug auf verstärkte Social Media-Interaktion wurden umgesetzt.
Als Stellamodels haben wir die Zeit genutzt, unsere Models auf unserem Kanal zu präsentieren und unsere Dankbarkeit zu zeigen. Social Media hat sich in dieser Zeit als großartige Möglichkeit gezeigt, aus der Ferne im Kontakt zu bleiben.
Die Branche wird sich auch zukünftig auf neue Rahmenbedingungen einstimmen müssen – welche Trends sehen sie hier im Kommen?
Ich hoffe, dass wir es als Chance sehen Qualität wieder über Quantität zu stellen, in allen Bereichen. Wir leben, oder besser gesagt lebten, in einer Zeit des Überflusses, jede Industrie hat massiv überproduziert, Tonnen von Produkten wurden jeden Tag vernichtet, um Platz für die nächste Ladung zu machen. Stumpfe Zahlen waren wichtiger als Menschenleben. Unsere Schränke sind voll, unsere Kühlschränke sind voll, und trotzdem können wir nicht aufhören zu konsumieren, es wird letztendlich sogar unterstützt. Auf der anderen Seite, ohne politisch werden zu wollen, sollten wir über tatsächlich gerechte Löhne sprechen, faire Arbeitsbedingungen, insbesondere in der Modebranche. Ein Neudenken ist in allen Ebenen und Zweigen der Industrie zwingend notwendig. Wenn ein paar Menschen auf dem Niveau internationaler Filmstars verdienen, bleiben für den Großteil nur ein paar Euro die Stunde übrig. Diese Diskrepanz in den Löhnen steht in keinem Vergleich zu dem Wert und der Zeit die in diese Produktionen gesteckt wird.
Diese Ideen sind natürlich nicht erst während der Krise entstanden, im Gegenteil, diese Diskussion wird seit Jahren ohne effektive Veränderung geführt. Vielleicht ist jetzt, wo wir alles zum Stillstand gebracht haben der richtige Zeitpunkt, um mit neuen Hintergedanken wieder zu beginnen. Ich selbst glaube, wir sollten mit den Ressourcen viel wählerischer umgehen, uns fragen, was wirklich die Essenz von Mode ist, die in meinen Augen die höchste Form der angewandten Kunst ist.
Diese neue Situation sollte auch endlich dazu genutzt werden, den Menschen, die in die kreativen Prozesse der Modeindustrie arbeiten, zu repräsentieren. Im Gegenzug zu Italien oder Frankreich haben die Menschen in der heimischen Modeindustrie und zusammenhängenden Wirtschaftsbereichen keine Stimme. Institutionen wie die Camera Moda oder Chambre Syndicale repräsentieren den wirtschaftlichen Bereich der Modeindustrie auf einem politischen Level und unterstützen und strukturieren diesen Wirtschaftsbereich und die Menschen, die darin arbeiten.
Wie werden diese Entwicklungen das Berufsbild des Models und auch das der Booker verändern?
Es gibt natürlich immer wieder neue Medien und Technologien, die wir uns anschauen und teilweise seit Jahrzehnten nutzen, aber diese unterstützen uns letztendlich nur in unserer Arbeit. Im Grundsatz wird sich die Arbeit von Models und Bookern nicht wirklich ändern. Es ist unsere Aufgabe, sowohl die Kunden als auch unsere Models zu beraten, fundierte internationale Karrieren zu bauen und dafür zu sorgen, dass das Produktionsteam das beste Endresultat für den Kunden erreicht.
Aktuell fokussieren wir uns natürlich auf lokale Produktionen, um das Risiko so gering wie möglich zu halten und die Sicherheit unserer Models zu garantieren. Wenn sich die Situation stabilisiert werden wir wohl wieder Anfragen auf internationaler Ebene sehen, angefangen mit den Ländern der Europäischen Union.
Als Full Service-Agentur haben Sie als eine der wenigen auch das Glück, auf mehreren Standbeinen zu stehen – können Sie uns das Angebot ein wenig konkreter beschreiben?
Seit 30 Jahren war unsere Hauptaufgabe individuelle Karrieren auf internationaler Ebene zu verwirklichen. Es war uns immer wichtig, eine breite Bandbreite an Personen zu repräsentieren, wie auch Kinder, Charakters und interessante Talente die mit ihrem individuellen Look und ihre Professionalität etwas verändern können. Wir arbeiten zusammen mit Fotografen, Mode und Hair-Stylisten und Make-up-Artists die für unsere Arbeit essentiell sind mit ihrer Hingabe, Inspiration und Bildung.
Unser Ziel ist es, Kunden, Models und Produktionsteams zusammenzubringen, um ein erfolgreiches Endprodukt zu garantieren.
In welche Richtung wollen Sie Ihre Agentur hier in den nächsten Jahren noch weiterentwickeln und blicken Sie trotz dem Rückschlag hoffnungsvoll in die Zukunft?
Wir überlegen derzeit mit anderen Playern eine intelligente und produktive Einheit zu bilden. Dabei nutzen wir unsere gemeinsamen Ressourcen und Synergien und behalten, wie immer, unser Profil und ethischen Anspruch.
Wir haben alle möglichen Krisen überstanden, international und auch auf persönlicher Ebene und sind immer noch hier. Solange ich aufwache und der einzige Ort, an dem ich sein möchte, mein Schreibtisch im wunderschönen Stellamodels-Büro ist und ich die Arbeit wie am ersten Tag angehe, kann die Zukunft kommen. Wir werden weiterhin hier sein.