Schiaparelli Couture Fall/Winter 2021/2022: Romantik statt Rebellion
Es war in 2019, dass Daniel Roseberry Schiaparelli übernahm. Seitdem gelang es ihm mit jeder Kollektion, den Zeitgeist einzufangen. Ganz im Sinne Elsa Schiaparellis, die sich stets mit kontemporären Kunstgrößen wie Salvador Dali oder Man Ray zusammensetzte und Designs schuf, die bis heute für den Inbegriff des Cross-overs zwischen Mode und Surrealismus stehen.
„The Matador”, die vierte Couture Kollektion des texanischen Designers, ist eine Anspielung auf seinen eigenen inneren Kampf gegen die Nostalgie und simple Schönheit rebellieren zu wollen. Manchmal muss jedoch gegen genau das rebelliert werden, was man möchte, um es wirklich zu verstehen.
„Zwei Jahre lange habe ich gesagt, dass ich mich nicht für Nostalgie interessiere. Für diese Saison hat jedoch alles damit begonnen. Ich hab mich selber immer wieder gefragt: Was, wenn man ein bisschen Manet; ein bisschen Lacroix; ein bisschen 1980er; ein bisschen 1880er; ein bisschen Matador; ein bisschen Alien; ein bisschen Ingres; ein bisschen Schimmer; viel Farbe kombiniert? Würde ich das schaffen? Und wie würde es aussehen?” teilte der Designer.
Im Gegensatz zu vergangen Collections, vor allem Couture Spring 2021, ist mehr Romantik und eine sanftere Weiblichkeit zu spüren. Die letzte Kollektion repräsentierte eine starke Frau, visuell verdeutlicht durch Brustplatten mit definierten Bauchmuskeln, Stiefel mit dicken Sohlen und Spuren von Athleisure. Couture Spring 2021 war sportiv und urban mit der einen oder anderen voluminös schillernden Robe dazwischen. Für Fall/Winter 2021/2022 hat sich Daniel Roseberry nur eines vorgenommen – pure, kompromisslose Schönheit als Essenz von Couture.
Matador Couture bei Schiaparelli heißt kurze Jacken und lange Hörner. Roseberry vereint die Teilnehmer des traditionellen, zurecht stark debattierten, Stierkampfes in seinen Kreationen. Der Schnitt der weißen Jacke mit schwarzer Bestickung, Perlenbesatz und Seidenquasten mit hochgeschlossenem Rundkragen wirkt durch den dazu getragenen Tüllrock und Hut umso mehr. Die Silhouette ist verstärkt und führt zum ausgewogenen Mix zwischen Femininität und Bestimmtheit. Der weibliche Matador Look duelliert sich mit der schwarzen, schulterfreien Robe, von welcher nahtlos gold-verzierte, in sich gedrehte Hörner in die Höhe schießen. Die für Schiaparelli bekannte Verzierung an der Brust erinnert an Augen und macht so die Illusion eines Stiers perfekt.
Jede Kollektion des Hauses, vor allem Couture, orientiert sich an bereits bestehenden Codes und Looks. Auch in dieser Saison findet sich eine Hommage an Elsa Schiaparellis Werk. Der erste Look, ein Patchwork aus Vintage Peau de Soie aus dem Archiv des Hauses, lässt Muster der 30er des letzten Jahrhunderts in textile Konversation treten. Die weiten, strukturierten Ärmel wie auch die Passform um die Taille lassen keinen Zweifel daran, dass es sich hier um Schneiderkunst direkt aus dem Ateliers des 21, place Vendôme handelt. Dass bei Schiaparelli kein simples LBD – Little Black Dress – zu finden ist, ist wohl kaum verwunderlich. Die Kreation, umrankt von dichten zartrosa Rosen, die sich kreisförmig wie eine Aura um den Körper anordnen, ist eine direkte Referenz zu Elsa Schiaparellis Zusammenarbeit mit Jean Cocteau in 1937, durch welche ein Abendmantel mit derselben floralen Stickerei entstand.
Es sind zweifellos die opulent, exzentrischen Schmuckstücke und Accessoires, die die Maison in das kollektive Gedächtnis der Massen verankert hat. Der von Saison zu Saison stets präsente Dialog zwischen Körper und Natur, Weiche und Härte, Mensch und Maschine hat wieder seinen Weg in die F/W Couture Kollektion gefunden. Neben zahlreichen Stickereien in der Form von Augen und Nasen, sind es vor allem die Stücke im Stil von Alberto Giacometti, die man mit Vorfreude erwartet. Die Goldkette mit dem Anhänger modelliert nach einer menschlichen Lunge, originalgetreu mit Kapillaren, ist der unangefochtene Fokalpunkt des Looks mit der schwarzen Robe aus Crèpe. Trotz sanfter Stimmung fanden Bauchmuskeln ihren Weg auf die Schnalle eines Taillengürtels mit Rahmen im Rokoko-Stil. Ein Statement der Stärke und Ersatz fürs Workout zugleich.
Wer Couture hört, denkt an klassische Schneiderkunst. Jeans oder Leder? Absolut nicht, würde man vermuten, aber Daniel Roseberry sieht das anders. Dekonstruierte, mit Goldfaden bestickte Jeans und ein kurzes Kleid aus schwarzem Leder sind willkommene Ausreißer und verleihen der Kollektionen eine Modernität, die zeigt, dass selbst die traditionsreichste Form der Mode neu erfunden werden kann. Die Blue Jeans wirken als wären sie verkehrt herum getragen, was den Look eleviert, indem jegliche Lässigkeit entzogen wird. Das Lederkleid hat Spuren einer Bikerjacke, vor allem durch die Steppung an den Schultern und den zahlreichen Zippern. Couture mit funktionalen Elementen und aus praktischen Stoffen ist unerwartet, aber nicht unerwünscht.
Unkonventionell mag aufregend sein, doch Couture heißt Extravaganz. Daniel Roseberry kehrte bei dieser Kollektion zu seinen Anfängen zurück. Zu einer Zeit, als er sich für Mode begeisterte, weil sie einen auf eine Reise mitnimmt. Einen gleichzeitig träumen und fliehen lässt. Während vorherige Kollektionen von der Pandemie und all den damit verbundenen Gefühlen beeinflusst waren, feiert Fall/Winter 2021/2022, dass Couture in einer Welt voller Technologie und Hang zur Simplizität überlebt hat. Der Designer stellt Farben – Lachsrosa, Terracotta, Kornblumenblau – in einen starken Kontrast mit tiefem Schwarz, und versichert, dass der große Auftritt mit voluminösen Roben aus Metern über Metern von Taffeta nicht so schnell zur Seltenheit wird.
Daniel Roseberry ging es um das Träumen, die Liebe und die Schönheit. Etwas zu kreieren, nicht weil es Grenzen überschreitet oder Gegebenheiten hinterfragt, sondern schlichtweg der Ästhetik und der Freude wegen. Was könnte romantischer sein als das?