Wenn extreme PMS das Leben unerträglich macht
Hunger auf Süßes und schnell wechselnde Launen gehören zum Prämenstruellen Syndrom (PMS). Aber es gibt auch eine extreme Form davon - nämlich PMDS. Darunter leidet jede 10. Frau im gebärfähigen Alter. Panikattacken und Depressionsschübe sind hier symptomatisch.
L'Officiel Austria hat mit Gynäkologen Dr. Christian Matthai gesprochen.
Leiden ohne Diagnose und der beständigen Frage "Was ist bloß mit mir los?". Das ist für PMDS-Betroffene Realität, wenn sie in der zweiten Hälte ihres Menstruationszyklus unerklärliche Symptome aufzeigen. Dabei ist in den ersten Tag nach Ende der Periode noch alles in Ordnung. Erst in der zweiten Hälfte (der Lutealphase) fängt der Horror wieder an.
- Hinweis: Dieser Artikel behandelt die Themen psychische Erkrankung und Suizid.
Plötzlich wird die Welt um einen herum "grau", der/die Partner:in ist zu nichts mehr fähig und nervt, jedes Kindergeschrei wird zur Tortur und der Stresspegel in der Arbeit ist binnen Sekunden an der Decke.
Man schleppt sich einfach nur noch durch den Alltag in der Hoffnung, dass der Zustand bald vorbei ist. "Vorbei" ist es jedoch erst, wenn die Menstruationsblutung einsetzt.
Für PMDS-Betroffene scheint vier Tage nach Beginn der Periode die Sonne wieder schöner und die tobenden Kinder sind allerliebst ... Und der Kreislauf beginnt wieder von vorne.
Das ist die Definition des Krankheitsbildes PMDS (engl. PMDD genannt), das erst seit kurzem mediale Aufmerksamkeit bekommt, obwohl (statistisch) eine von zehn Frauen im gebärfähigen Alter darunter leidet.
Die PMDS-Symptome
Die prämenstruelle, dysphorische Störung (PMDS, im engl. PMDD) ist eine komplexe Erkrankung, die körperliche und emotionale Symptome vereint. Dabei sind depressive und manische Stimmungen typisch. Das Gefühl die Kontrolle zu Verlieren, Angstzustände bis Panikattacken und "Brain Fog" können ebenso vorkommen wie körperliche Symptome. Darunter Wasseransammlungen, Schmerzen in der Brust, Müdigkeit, Magenbeschwerden, Rückenschmerzen oder Migräne.
Bei PMS empfinden Frauen eher körperliche Symptome, beim PMDS stehen dagegen eher psychische Beschwerden im Vordergrund", so der Wiener Gynäkologe Dr. Matthai im Interview.
Komplex ist PMDS deshalb, weil die Erkrankung zwar durch einen physischen Ablauf im Körper ausgelöst wird, allerdings schwere psychische Auswirkungen haben und sogar zum Suizid führen kann. Deswegen wird PMDS seit 2019 von der WHO mit dem Code GA34.41 geführt, welche es unter die Verhaltens- und neurologischen Entwicklungsstörungen reiht.
Wie der US-amerikanische TV-Star Gia Allemand zeigt, sollte man besonders in schweren Fällen medizinischen Rat suchen. Allemand nahm sich 2013 in Folge ihrer PMDS-Erkrankung das Leben. In ihrem Namen wurde "The Gia Allemand Foundation" gegründet, die heute als "International Association for Premenstrual Disorders" tätig ist und sich der Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit für PMDS verschrieben hat.
Wissenswertes über PMDS
- Die Ursachen sind nicht endgültig erforscht, da sie unterschiedlich sein können. Man nimmt jedoch vor allem hormonelle Faktoren an. Eine Möglichkeit ist eine abnormale Reaktion des Gehirns auf das in der Lutealphase gestiegene Progesteron und das neuroaktive Steroid Allopregnanolon.
- Ein spezielles Medikament befindet sich derzeit noch im Entwicklungsstadium. Ob und wann es auf den Markt kommt, ist noch ungewiss.
- Für die PMDS-Diagnose ist es wichtig den zeitlichen Zusammenhang zwischen Menstruation und Symptomen zu erkennen: Erst wenn die Symptome in einem Kalender (für mindestens zwei Zyklen) notiert werden, kann erkannt werden, ob es sich um PMDS handelt, so US-Ärztin Diana Dell in ihrem Ratgeber "The PMDD Phenomenon".
Der Wiener Gynäkologe Dr. Christian Matthai schreibt in seinem aktuellen Buch "Meine Sprechstunde" über PMDS. L'Officiel Austria hat ihn zum Interview gebeten.
Dr. Matthai, PMDS ist eine komplexe Erkrankung. Welche Symptome hat sie?
Dr. Christian Matthai: "Das prämenstruelle dysphorische Syndrom (PMDS) ist ein Symptomkomplex bei dem depressive Störungen, Angst und Panikattacken im Vordergrund stehen."
Wo liegt der signifikante Unterschied zwischen PMS und PMDS?
Dr. Christian Matthai: "Bezüglich der Beschwerden kann man zwischen der häufigeren und etwas milderen Form, dem klassischen PMS und dem extrem belastenden prämenstruellen dysphorischen Syndrom (PMDS) unterscheiden. Diese schwerwiegendste Form des PMS ist gegeben wenn mindestens 5 Symptome vorhanden sind. Bei PMS empfinden Frauen eher körperliche Symptome, beim PMDS stehen dagegen eher psychische Beschwerden im Vordergrund. Zu den klassischen körperlichen Symptomen gehören: Brustspannen und Brustschmerz (Mastodynie), aufgeblähter Bauch und Blähungen allgemein, Wassereinlagerungen (Ödeme), Müdigkeit, Heißhunger, Kopf- und Bauchschmerzen sowie Schlafstörungen. Zu den klassischen psychischen Symptomen gehören Reizbarkeit, Labilität und Weinerlichkeit, depressive Verstimmung, Anspannung, Wut, Aggression, Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen."
Welche Rolle spielen Hormonschwankungen im weiblichen Zyklus? Ist ein Mangel an einem bestimmten Hormon daran Schuld?
Dr. Christian Matthai: "Die genaue Ursache des PMS ist bislang noch nicht ganz klar. Ein hormoneller Hintergrund liegt auf der Hand, da die Beschwerden stets einen Bezug zum weiblichen Zyklus aufweisen. Folgende Faktoren stehen als mögliche Ursachen im Fokus der Wissenschaft: Dauerhafter negativer Stress, chronische Inflammation, Progesteron- und/oder Östrogenmangel, ein Mangel der Aminosäure L-Tryptophan- und/oder des Neurotransmitters Serotonin. Der für die Psyche sehr wichtige GABA-A-Rezeptor, das Schlafhormon Melatonin, die Stressbotenstoffe Dopamin, Noradrenalin und Cortisol stehen ebenso in Diskussion."
"Bei manchen Frauen können die Beschwerden so stark ausgeprägt sein, dass Suizidgedanken auftreten. Eine klassische Therapie mit Antidepressiva wird dann unvermeidlich."
Bleibt PMDS bis zum Wechsel bestehen oder können andere hormonelle Veränderungen, wie eine Geburt, die Symptome verändern oder gar aussetzen?
Dr. Christian Matthai: "Einer der Vorteile des Älterwerdens ist die Tatsache, dass Frauen in der Postmenopause, die keinen Zyklus und damit auch keine Monatsblutung mehr haben, vom PMS nicht mehr betroffen sind. Auch nach Geburten kann sich die hormonelle Situation einer Frau verändern."
Welche Lebensumstände können PMDS noch verstärken?
Dr. Christian Matthai: "Die Wissenschaft fokussiert sich dabei auf folgende Trigger: Dauerhafter negativer Stress, chronische Inflammation oder die Belastung mit hormonell aktiven, schädlichen Substanzen, die wir über das Essen zu uns nehmen. Zu diesen zählen beispielsweise Weichmacher wie Bisphenol A."
Die WHO hat im ICD-10 PMDS mit dem Code F32.81 unter den Verhaltens- und neurologischen Entwicklungsstörungen kategorisiert. Soll man sich nun an eine:n Gynäkolog:in oder an eine:n Psychiater:in wenden?
Dr. Christian Matthai: "Im Grunde können beide Fachärzt:innen helfen. Ich sehe Frauenärzt:innen als primäre Ansprechpersonen. In schweren Fällen, in denen Psychopharmaka zum Einsatz kommen, werden die Patientinnen dann zu Psychiater:innen überwiesen. Bei manchen Frauen können die Beschwerden nämlich so stark ausgeprägt sein, dass Suizidgedanken auftreten. Eine klassische Therapie mit Antidepressiva wird dann unvermeidlich."
Bevor man Psychopharmaka nehmen muss, gibt es noch andere "leichtere" Möglichkeiten?
Dr. Christian Matthai: "Mönchspfeffer, auch Vitex agnus-castus genannt, ist ein seit langer Zeit in der Frauenmedizin sehr gut etabliertes Pflanzenextrakt. Das Produkt ist in jeder Apotheke rezeptfrei erhältlich. Betroffene sollten Mönchspfeffer mindestens 3 Monate lang dauerhaft einnehmen, da es manchmal ein wenig dauert bis sich dessen volle Wirkung entfaltet. Erfahrungsgemäß führt eine Tagesdosis von 20mg in vielen Fällen zumindest zu einer Verbesserung der Beschwerden. Auch die Yamswurzel ist zu erwähnen, denn der in ihr enthaltene Pflanzenstoff Diosgenin ähnelt dem Gelbkörperhormon Progesteron. Die tägliche Einnahme von Dosen zwischen 300 und 500mg eines Yamsextrakts kann zu einer Verbesserung prämenstrueller Beschwerden beitragen."
Wie sieht aber normalerweise eine Behandlung vom PMDS aus?
Dr. Christian Matthai: "Einige therapeutische Maßnahmen bieten uns der Lebensstil und die Ernährung. Dazu gehören beispielsweise die Reduktion von Stress, Ausdauersport sowie das Erlernen von Entspannungstechniken, wie Meditation, Yoga, autogenes Training, Muskelentspannung nach Jacobsen oder Bio-Feedback. Weitere Möglichkeiten bieten die psychotherapeutische Gesprächstherapie sowie die Optimierung von Regeneration und Schlaf. Nikotin sollte man unbedingt vermeiden, da Rauchen die Beschwerden verschlechtern kann."
Oft wird die Anti-Babypille beim PMS und PMDS verschrieben. Wie sehen Sie das?
Dr. Christian Matthai: "Ja, damit kann man hormoneller Schwankungen unterdrücken und die damit verbundenen Beschwerden. Bei manchen Anwenderinnen bleiben die Beschwerden in der bei den meisten Pillen üblichen Einnahmepause jedoch bestehen. In diesen Fällen kann die Pille auch im Langzyklus den ganzen Monat durchgehend eingenommen werden. Durch die kontinuierliche Einnahme reduziert man das Risiko, dass die Tage der Pillenpause mit Beschwerden belastet sind. In vielen Fällen reicht es jedoch die Anti-Babypille im normalen Schema einzunehmen."
Gibt es auch noch eine andere Einsatzmöglichkeit von Hormonen?
Dr. Christian Matthai: "Bei Frauen, die keine hormonelle Verhütung benötigen oder diese nicht anwenden möchten kann eine bioidente Hormontherapie mit Progesteron zum Einsatz kommen. Man beginnt eine Progesterontherapie ab der Zyklusmitte und wendet sie meistens zyklisch über 10 bis 14 Tage an. Dosen zwischen 100 und 400mg sind meistens zielführend. Da Progesteron müde machen kann, empfiehlt sich die Anwendung abends vor dem Schlafengehen."
Welche Lebensmittel sollte man mit PMDS meiden und welche bevorzugen?
Dr. Christian Matthai: "In der zweiten Zyklushälfte sollte Betroffene Zucker und einfache Kohlenhydrate vermeiden. Vollkornprodukte sind der beste Ersatz. Kaffee und Alkohol gilt es ebenso zu meiden, da deren Konsum Beschwerden verschlechtern kann. Des Weiteren sollte der Konsum von tierischen Fetten und Salz reduziert werden. Die vor allem in Fleisch, Wurstwaren und fetten Milchprodukten enthaltenen gesättigten Fette fördern Entzündungen und Salz begünstigt störende Wassereinlagerungen. Omega-3-Fettsäuren gehören zu den gesunden mehrfach ungesättigten Fettsäuren und wirken als natürliche Entzündungshemmer. Es gibt sie in Kapselform oder als Öl nachdenken. Dosierungen zwischen 1 und 2g pro Tag haben einen antientzündlichen Effekt. Und auch das Gewicht kann eine Rolle spielen: Frauen, die Übergewicht haben, profitieren von einer Gewichtsabnahme bei PMS meist auch."
Und puncto Supplements: Gibt es hier welche, die eine positive Wirkung bei PMS bzw. PMDS haben können?
Dr. Christian Matthai: "Eine neue wissenschaftliche Überblicksarbeit aus dem Jahr 2020, publiziert im Journal Gynecological Endocrinology konnte belegen, dass die Zufuhr des potenten Antioxidans alpha-Liponsäure (ALA) mit einer Verbesserung von allgemeinen Menstruationsbeschwerden verbunden sein kann. Das ALA in Lebensmitteln, das in Spinat und Brokkoli nur in kleinen Mengen enthalten ist, sollte für einen therapeutischen Effekt als Kapsel in Tagesdosen zwischen 200 und 600mg eingenommen werden."
Wir haben jetzt vor allem über die psychischen Beschwerden und deren Therapie gesprochen. Wie sieht es bei den körperlichen Symptomen und Schmerzen aus?
Dr. Christian Matthai: "Die Zufuhr von 1.200mg Kalziumkarbonat hat sich in Studien gegen Unterbauchkrämpfe, Brustschmerzen (Brustspannen) und Essattacken gut bewährt. Man nimmt es täglich bei Bedarf ein. Die Aminosäure 5-Hydroxy-Tryptophan (5-HTP) unterstützt die körpereigene Serotoninsynthese. Je nach Bedarf und Spiegel sind Dosen zwischen 50 und 300mg pro Tag nötig und zielführend. In Abhängigkeit der Symptome kann die Aminosäure morgens und/oder abends eingenommen werden. Bei Schlafstörungen empfiehlt sich die abendliche Zufuhr. Die Einnahme von 5-HTP kann auch mit der Aminosäure L-Tryptophan kombiniert werden. Eine Serotoninanalyse vor Beginn einer Therapie ist ratsam."
Welche Vitamine sind bei PMDS besonders hilfreich?
Dr. Christian Matthai: "Die B-Vitamine sind an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt. Da sie sowohl für die Psyche als auch für den Hormonhaushalt von großer Bedeutung sind, ist der Einsatz eines Vitamin B-Komplexes für viele PMS-Patientinnen gewinnbringend. Eine Analyse der B-Vitamine vor Beginn einer Therapie [über Blutbild, Anm.] ist sinnvoll. Magnesium ist wie die B-Vitamine auch an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt. Obendrein sind Magnesium und Vitamin B6 essentielle Cofaktoren der körpereigenen Serotoninproduktion. Zusätzlich wirkt Magnesium krampflösend und kann somit auch bei Unterbauchbeschwerden Linderung bringen. Tagesdosen zwischen 300 und 450mg sind zielführend. Dabei sollte die Tagesmenge immer auf 2 bis 3 Einzelportionen aufgeteilt werden. Eine Magnesiumanalyse vor Beginn der Einnahme ist nicht zwingend nötig, da Magnesium kaum überdosiert werden kann."
"Selbst die Erkenntnis, dass man nicht alleine betroffen ist, hilft vielen. Aus Erfahrung weiß ich, dass es für alle PMS- oder PMDS-Beschwerden eine Lösung gibt."
Warum gibt es im Gegensatz zu den USA in Europa noch so wenig Awareness für PMDS unter Mediziner:innen? Googelt man "PMDS" und z.B. bei Wiener Gynäkolog:innen gibt es nur eine Handvoll, die es auf der Website erwähnen ...
Dr. Christian Matthai: "Nur weil man es online selten liest heißt das nicht, dass wir Mediziner:innen uns diesem Thema nicht annehmen oder es nicht ernstnehmen. Nichtsdestotrotz ist die Anzahl der Frauen, die sich mit ihren Beschwerden alleine gelassen fühlen immer noch zu groß. Da gebe ich Ihnen recht."
Was können Frauen machen, die jetzt die Symptome an sich erkennen und denken, dass sie unter PMDS leiden könnten?
Dr. Christian Matthai: "In jedem Fall sollten Betroffene darüber sprechen und sich bei Bedarf Hilfe bei Mediziner:innen oder Apotheker:innen holen. Es kann auch hilfreich sein sich mit Freundinnen und anderen Betroffenen auszutauschen - dafür gibt es auch Selbsthilfegruppen. Selbst die Erkenntnis, dass man nicht alleine betroffen ist, hilft vielen. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass es für alle PMS- oder PMDS- Beschwerden eine Lösung gibt. An dieser Stelle möchte ich auch allen Frauen die Angst nehmen und Zuversicht zusprechen."
PMDS / PMDD Organisationen:
International Association for Premenstrual Disorders
PMDS Selbsthilfe e.V. (Deutschland)
Foto v. Dr. Christian Matthai: Harald Eisenberger